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„Mein zweites Leben“ – Uli Süß besucht seine alte Schule

Sehr beeindruckt waren unsere 11. Klässler*innen, als unser ehemaliger Schüler Uli Süß zu ihnen kam und von seinem Schicksal erzählte.

In einer Powerpoint Präsentation zeigte er anfangs Fotos von sich:

Wie er als junger Student geschickt aus Jux auf Verkehrsschilder klettert; wie er sportlich topfit schwer bepackt mit Bohrmaschine und Zelt in die Kreuzhöhle „einfährt“; wie er mit Kommilitonen – sie sind die Kanalrohrgruppe - im Oktober 2015 die Höhle erforscht und dort in dunkler Nacht biwakiert – alle sehen einen sportlichen lebensbejahenden jungen Menschen.

Dann merkt man dem jetzt im Rollstuhl sitzenden Mann an, wie er zögert, zunächst nochmals ein faszinierendes Bild von der Höhle an die Wand wirft und dann doch nach erneutem Zaudern eine Aufnahme von sich zeigt, wie er allein im Koma auf der Intensivstation liegt.

Was war passiert?

Kurze Zeit nach der abenteuerlichen Tour in die Kreuzhöhle als begeisterter Höhlenforscher will Uli körperliche Grenzerfahrungen machen. Dazu ordert er im Darknet ein sehr starkes in seiner Zusammensetzung verändertes Schmerzmittel. Als er allein in seinem WG-Zimmer ist, nimmt er die teuflische Substanz. Er kann sich nur daran erinnern, dass ihm sehr übel wurde. Dann fällt er in Ohnmacht, er muss sich übergeben. In diesem Zustand sitzt er zweieinhalb Tage, bis ein WG -Bewohner ihn findet. Sein Gehirn wurde in diesen langen Stunden zu wenig mit Sauerstoff versorgt. Er erleidet starke neurologische Schäden. Wird er überleben? Wie wird es weitergehen?

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24 Tage wird er in Darmstadt künstlich beatmet, dann kommt er ins Therapiezentrum nach Nordschwaben, seiner Heimat. Er muss alles neu lernen, essen kann er lange nicht und wird über eine Sonde künstlich ernährt. Anfangs bleibt er blind.

Seine Eltern sind immer da. Sie tun alles, um Uli einen Weg zurück ins Leben zu ermöglichen. Und Uli fasst – beinahe unglaublich – neuen Lebensmut. Er will wieder vieles können. Er kämpft und kämpft sich zurück ins Leben. Er sagt selbst: „Das ist mein zweites Leben.“

Sechs Jahre lang lebt er im Alten- und Pflegeheim und das mit Anfang zwanzig! Uli schildert, wie er dort anfängt wieder Horn zu spielen, wie die alten Mitbewohner sich über die Musik freuen. Für ihn eine gute Erfahrung, dass er die letzte Lebenszeit seiner Oma gemeinsam im Heim erleben darf. Bei dieser zärtlichen Schilderung wendet er sich die jungen Zuhörer*innen im Klassenzimmer: „Besucht eure Großeltern, wenn ihr noch welche habt: Sie hegen viele Schätze in sich. Nehmt euch für sie Zeit! Ihr werdet Gewinn daraus ziehen.“

Ein Lächeln zaubert Kater Franz (als Foto) den Anwesenden ins Gesicht. Der verspielte Kater gab Uli Halt. Voller Liebe erzählt er von ihm. Dieser Kater, einige Therapeuten, Freunde und vor allem seine Familie halfen Uli neue Kraft zu tanken und einen starken Lebensmut zu entwickeln.

Es ist beeindruckend, wie ein Mensch, der so vital war, dann plötzlich seine Gesundheit völlig verlor, den Mut hat vor jungen Menschen sein Leben, auch sein Verschulden zu erzählen.

Uli fängt an mit professioneller Unterstützung zu klettern, er traut sich auf den Rücken von Pferden, er sucht die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, er arbeitet jetzt in der Telefonseelsorge und leise wünscht er sich eines Tages wieder gehen zu können.

Am Ende zeigt er nochmals ein faszinierendes Foto einer Höhle, die er und sein Bruder Thommy gemeinsam mit Lampen erleuchten.

Die Schüler*innen sind still. Was sie gesehen und vernommen haben, müssen sie erst verarbeiten. Zögerlich kommen Fragen nach der unheilbringenden Substanz, nach dem Warum, usw.  Uli antwortet bedacht. Man merkt ihm die Anstrengung an. Und dann appelliert er an die jungen Leute: „Versucht mal drei Wochen ganz ohne Alkohol auszukommen! Das tut unglaublich gut. Ich lerne immer mehr das Leben nüchtern zu genießen.“

Danke für diesen Mut und diese Offenheit so über dein Leben zu erzählen!

Rainer Bauer